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Zebrastreifen wird 75 Lebensretter und Todesbringer zugleich

Seit 1948 gibt es Zebrastreifen in der Schweiz. Sie sind die Grundlage für Fussgänger, um sicher Strassen zu überqueren. Hunderte haben sie aber auch in den Tod geführt. In diesem Jahr werden Fussgängerüberwege 75 Jahre. Nun könnte ihr eigenes Ende kommen.

Schweizerinnen und Schweizer sagen zu Fussgängerüberwegen häufig «Zebrastreifen», obwohl «Tigerstreifen» farblich treffender wäre. Foto: Peter Klaunzer, Keystone

Millionen Menschen treten täglich auf ihm herum. Dennoch wäre fast sein rundes Jubiläum vergessen worden - obwohl 69 000 Zebrastreifen an die Geburtsstunde des Strassenübergangs für Fussgänger erinnern. SRF hat die Zahl im vergangenen Jahr hierzulande erstmals erheben lassen. Die gelben Streifen auf schwarzem Grund werden heuer 75. An welchem Tag, das lässt sich so leicht und wahrscheinlich auch nicht mehr ganz genau datieren.

Die ersten Fussgängerüberwege in der Schweiz gab es 1948 in Basel . Darüber berichtete die Automobilrevue im Dezember desselben Jahres. Foto: Blog des Schweizerischen Nationalmuseums / Bundesarchiv
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Die ersten Fussgängerüberwege wurden im Herbst 1948 in Basel angebracht, das ist sicher. In gelben, zum Trottoir parallel verlaufenden Streifen. Darüber berichtete die Automobil Revue am 8. Dezember 1948, mit Bild als Beleg. Auf dem Foto geht eine ältere Dame mit Gehstock gemächlich über die Strasse. Im Hintergrund steht wartend ein Auto. «Der Versuch hat einen unbestreitbaren Erfolg gezeigt, denn jetzt hält sich dort das Fussvolk weit besser an die ihm zugewiesene Passage», so heisst es in der Bildlegende. Zebrastreifen dienten seinerzeit somit nicht dem Schutz der Fussgänger, sondern der Lenkung des Fussverkehrs.

««Die Basler Polizei wollte mit den ersten Zebrastreifen vor 75 Jahren herausfinden, ob sie Sinn machen.»»

Andrej Abplanalp

«Die Basler Polizeibehörden haben die Streifen ohne viel Aufhebens daraus zu machen einfach mit einer Spezialmaschine auf mehrere Strassen gespritzt, um herauszufinden, ob sie Sinn machen», sagt Andrej Abplanalp, Historiker und Kommunikationschef des Schweizerischen Nationalmuseums. Er hat einen Artikel über die Geschichte des Zebrastreifens in der Schweiz geschrieben.

Auf Nachfrage bei der Stadtverwaltung Basel, wann genau diese Malerarbeiten erfolgten, kam die Antwort, dass sich das nicht mehr sagen liesse. «Von damals arbeitet niemand mehr bei uns und Aufzeichnungen haben wir keine.» Eine Nachfrage beim Staatsarchiv habe ergeben, dass es eine aufwendige Recherche sei, das herauszufinden - wenn überhaupt. Eigentlich auch egal. Nach 75 Jahren kommt es nicht auf den genauen Tag der Geburt an. Wichtiger ist das dazwischen: Was hat der Zebrastreifen gebracht?

Fast die Hälfte aller schweren Fussgänger-Unfälle passieren auf Zebrastreifen

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Es gibt vor allem Nachweise über sein Unvermögen und die sind erschütternd. Im vergangenen Jahr kamen 36 Fussgängerinnen und Fussgänger bei Verkehrsunfällen ums Leben. Davon verunglückten neun Personen auf einem Fussgängerstreifen. Also jeder Vierte. Vor wenigen Tagen meldete das Bundesamt für Strassen Astra auch für das erste Halbjahr 198 schwerverletzte Fussgängerinnen und Fussgänger. Davon verunfallten 94 Personen auf einem Fussgängerstreifen schwer. Das ist fast die Hälfte. Nur selten verursachen Fussgänger Unfälle selbst. Überwiegend sind Auto- und Lastwagenfahrer schuld.

Zebrastreifen sind eigentlich dafür da, damit Strassen sicher überquert werden können. Diesen Zweck erfüllen sie offensichtlich nicht. Weshalb nicht? «Zebrastreifen geben Sicherheit vor, die nicht vorhanden ist», sagte Markus Hackenfort, Professor für Verkehrs-, Sicherheits- und Umweltpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in einem Interview mit dem SRF im vergangenen Jahr. Für ihn ist aus Präventionssicht für Fussgänger im ersten Schritt das wichtigste, Zebrastreifen als gefährlich und nicht als sichere Querung wahrzunehmen.

Vor 60 Jahren wurde Vorfahrt für Fussgänger eingeführt

Seit 1963 haben Fussgänger laut Verkehrsregelverordnung an Zebrastreifen Vortritt vor Autofahrenden, «wenn ein Fahrzeuglenker die Chance hat, noch zu bremsen». Eine Generalvorfahrt besteht für Fussgänger somit nicht, sie müssen schon auch selbst einschätzen, ob sie sicher über die Strasse kommen. 1994 wurde das verpflichtende Handzeichen abgeschafft, mit dem Fussgängerinnen und Fussgänger ein Überqueren der Fahrbahn vorankündigen mussten.

Heute gibt es viele Tempo-30-Zonen und überall dort meist keine Fussgängerstreifen mehr. Deshalb dürfen Fussgänger überall die Strasse queren. Wo Zebrastreifen vorhanden sind, müssen diese benutzt werden. Nationalrat Baptiste Hurni von der SP hat in einem Vorstoss vor zwei Jahren versucht, die Wiedereinführung von Fussgängerstreifen in Tempo-30-Zonen zu erreichen. Der Bundesrat hat die Beantragung des Postulates mit folgender Begründung abgelehnt: Sie würde die Querungsmöglichkeiten von Fussgängern stark beschränken, weil diese den Fussgängerstreifen benutzen müssten, wenn dieser weniger als 50 Meter entfernt ist. Solche Einschränkungen würden dem mit Tempo-30-Zonen bezweckten Verkehrsregime entgegenlaufen.

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Es wird nicht der letzte Vorstoss für oder gegen Zebrastreifen gewesen sein. Zweifelsfrei wird sich seine Bedeutung im Laufe der Zeit aber wie in seiner langen Vergangenheit weiter ändern. Naheliegend ist, dass der Zebrastreifen in dem Masse an Wert verliert, wie neue Technologien ins Auto einziehen. Schon heute erkennen Fahrerassistenzsysteme Menschen am Fahrbahnrand und Zebrastreifen auf der Strasse. In beiden Fällen können die Bremsen vorkonditioniert werden. Tritt die Person auf die Fahrbahn, versuchen moderne Sicherheitssysteme ihr auszuweichen, wenn die Fahrenden nicht rechtzeitig reagieren. Die Assistenten greifen im Notfall sogar in die Lenkung ein und ändern die Fahrtrichtung. Ist eine Kollision unausweichlich, wird automatisch eine Notbremsung eingeleitet. Beides geschieht völlig unabhängig davon, ob sich der Mensch auf einem Zebrastreifen befindet oder nicht.

Im zunehmend automatisierten Fahren spielen Zebrastreifen eine abnehmende Rolle. Vielleicht werden sie noch ihren 100sten Geburtstag feiern können. Dann, nach einem vergleichbar langen Menschenleben, wird für sie aber wohl Schluss sein.

Beatles machten den Zebrastreifen berühmt

In mehr oder wenig guter Erinnerung können Fussgängerstreifen dennoch bleiben, allen voran bei Beatles-Fans. In London liefen die vier Pilzköpfe hintereinander über einen Zebrastreifen in der Abbey Road für das Coverfoto des gleichnamigen Kultalbums. Die Briten haben somit zwar den berühmtesten Zebrastreifen der Welt - aber nicht den ersten, wenn das Jahr ausschlaggebend ist. In London wurden nämlich im selben Jahr und ebenfalls probeweise wie in Basel gestrichelte Linien an Kreuzungen zur Überquerung von Strassen aufgebracht. Die Zebrastreifen in England und der Schweiz gelten als die ersten europaweit.

Weshalb Schweizer zu ihren gelben Balken auf der Strasse Zebrastreifen sagen, mag weiterhin ein Rätsel bleiben. Weisse Balken auf schwarzem Asphalt, wie etwa in Deutschland, sind in der Schweiz laut Signalisationsverordnung allenfalls auf gepflasterten Strassen zulässig. Deshalb wäre hierzulande «Tigerstreifen» die wohl treffendere Wortwahl.

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