BAV-Direktor Füglistaler im Interview «Leider gehen die SBB mit schlechtem Beispiel voran»
BAV-Direktor Peter Füglistaler reagiert auf die Kritik, er habe von den ÖV-Unternehmen die Erhöhung der Tarife verlangt. Und er attackiert die SBB scharf. Diese würden ständig mehr Subventionen fordern und die Expansion ins Ausland verschlafen.
![Corona war bezüglich Subventionsgelüsten der ÖV-Unternehmen ein Game Changer, sagt BAV-Direktor Peter Füglistaler. Fotos: Franziska Rothenbühler](https://www.verkehrsmonitor.ch/assets/content/artikel-images/_imageMax/174054/ROT0860-7.webp)
Peter Füglistaler, ist das Bundesamt für Verkehr (BAV) verantwortlich dafür, dass die ÖV-Tarife auf den Fahrplanwechsel hin so stark steigen?
Nein, das nicht. Aber wir haben gesehen, dass wir aufgrund des teuerungsbedingten Kostenanstiegs und der vom Bundesrat geplanten Subventionskürzungen nicht in der Lage sind, das heutige ÖV-Angebot ohne Tariferhöhungen zu finanzieren.
Laut «SonntagsBlick» forderten Sie die Branche auf, die Tarife stark zu erhöhen. Diese hatte das eigentlich gar nicht vor.
Es gab ÖV-Unternehmen, die nur eine moderate oder keine Erhöhung wollten. Deshalb haben wir interveniert und gesagt: Ohne eine spürbare Erhöhung lässt sich das ÖV-System 2024 nicht mehr finanzieren.
Der Tarifanstieg läuft den Klimazielen zuwider und kommt bei Teuerung und steigenden Gesundheitskosten zur Unzeit.
Die Preiserhöhung liegt bei unter vier Prozent. Davor stiegen die Tarife zum letzten Mal im Jahr 2016, und zwar im Rahmen der Teuerung. Ich finde den jetzigen Anstieg daher vertretbar. Nutzerinnen und Nutzer müssen sich angemessen an den ÖV-Kosten beteiligen. Mobilität muss ihren Preis haben.
Der Preisüberwacher wertet Ihre Intervention als Eingriff in die Tarifhoheit der Unternehmen. Wie unüblich ist es, dass der BAV-Direktor in einem Brief den Bahnen den Tarif durchgibt?
Sagen wir es so: Es ist das erste Mal, dass wir die Unternehmen so deutlich daran erinnern mussten, dass sie beim Festlegen der Tarife eine unternehmerische Verantwortung haben.
Q: Was meinen Sie genau damit?
Die Tarifhoheit bringt Pflichten mit sich. ÖV-Unternehmen erhalten schliesslich Subventionen. Das setzt voraus, dass sie ihr Möglichstes tun, um die Kosten tief zu halten. Heisst: Sie müssen effizient produzieren und möglichst viele Erträge erwirtschaften. Tun sie das nicht, dann wird der gesamte Kostenanstieg beim öffentlichen Verkehr auf die Steuerzahlenden abgewälzt. Auf Dauer gefährdet das unser System der ÖV-Finanzierung.
«Das Fordern von immer mehr Subventionen ist Teil der DNA der ÖV-Branche geworden.»
Sie zeichnen ein Bild der Bahnen, die nach Subventionen schreien, anstatt sich anzustrengen. Das gehört doch zu Ihrer Rolle als BAV-Direktor.
Nicht nur. Mit Blick auf meine 30 Jahre Erfahrung im ÖV erkenne ich eine schlechte Entwicklung. Vielen Transportunternehmen ist das Bewusstsein abhandengekommen, dass sie keinen Rechtsanspruch auf Subventionen haben. Sie sind verpflichtet, haushälterisch mit Steuergeldern umzugehen. Stattdessen ist das Fordern von immer mehr Subventionen Teil der DNA der ÖV-Branche geworden. Und leider gehen die SBB als grösstes und staatseigenes Unternehmen hier mit schlechtem Beispiel voran.
Wie meinen Sie das?
In den Verhandlungen mit dem BAV fordern die SBB stets sehr viele Mittel für sich. Wir kürzen diesen Wunschkatalog dann zurecht – und am Ende der Leistungsperiode stellen wir fest, dass trotzdem nicht alles Geld gebraucht wurde. Eigentlich sollte ein staatseigenes Unternehmen den Ehrgeiz haben, möglichst ambitiös und tief zu budgetieren. Dieser Ehrgeiz ist leider abhandengekommen.
Seit wann beobachten Sie diese Entwicklung?
Das hat graduell über die Jahre zugenommen. Aber der Game Changer war Corona. Der Bund hat dem öffentlichen Verkehr die gesamten Pandemie-bedingten Ausfälle finanziert, was ein riesiger Kraftakt war. Seither glauben die ÖV-Unternehmen, das sei nun der Normalzustand. Ihnen fehlt das Bewusstsein, dass sie wieder selbst Verantwortung übernehmen müssen.
Am Montag hat die zuständige Nationalratskommission sich gegen Kürzungen im regionalen Personenverkehr entschieden. Zumindest ein Teil des Parlaments will also nicht, dass die ÖV-Unternehmen zurückbuchstabieren.
Der öffentliche Verkehr geniesst verdientermassen viel politisches Wohlwollen. Doch für seine Finanzierung müssen drei Parteien ihren Anteil leisten: Steuerzahlende, Nutzerinnen und Nutzer und die Unternehmen. Letztere wälzen die Lasten aber immer mehr auf die Schultern der Steuerzahlenden ab.
«Einfach und günstig wird in der Schweiz aktiv bekämpft.»
Was fordern Sie konkret von den SBB und anderen ÖV-Unternehmen?
Mehr Erträge und vor allem: mehr Effizienz. In der Schweiz ist immer nur das Beste gut genug. Low Cost-Anbietern lassen wir keine Chance. Beispielsweise wird alles unternommen, um den Markteintritt von Flixtrain in den grenzüberschreitenden Verkehr zu verhindern. Das Unternehmen produziert einfach und wäre mit günstigen Tarifen gerade für Junge attraktiv für Reisen ins Ausland. Doch einfach und günstig wird in der Schweiz aktiv bekämpft.
Das ist Ihre Lösung: mehr Wettbewerb?
Ich bin mir bewusst, dass Wettbewerb im Schweizer ÖV in weiten Teilen unmöglich ist. Das gilt aber nicht für Nischenbereiche wie etwa den internationalen Personenverkehr oder Ausschreibungen im Busbereich.
Der Widerstand dagegen ist gross. Eine Öffnung der ÖV-Schweiz für ausländische Gesellschaften könne dazu führen, dass das SBB-Angebot schlechter und teurer werde, warnte etwa Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar in der «SonntagsZeitung».
Ich sehe nicht, warum das so sein sollte. Der nationale Taktverkehr hätte weiterhin Vorrang, die Integration ins Tarifsystem ist Pflicht und branchenübliche Löhne sind gesetzlich vorgegeben. Es geht wie gesagt nur um den internationalen Personenverkehr. Aber die Aussage zeigt einmal mehr: Man sieht nur die Risiken und nicht die Chancen.
Was wären denn die Chancen?
Für die ÖV-Kunden gäbe es mehr Angebote zu tieferen Preisen. Und für die Bahnen tut sich jetzt gerade eine neue Möglichkeit auf.
Welche?
Nach Jahren der geschlossenen Märkte findet erstmals eine echte Öffnung des europäischen Schienenmarkts statt. Die italienische Staatsbahn fährt nach Paris, die Franzosen fahren nach Spanien, die österreichischen Bundesbahnen expandieren in den Nahverkehr nach Deutschland. Die Karten unter den europäischen Bahnunternehmen werden neu gemischt – und was machen die SBB? Sie bleiben zu Hause und konzentrieren sich auf den Heimmarkt. Ich befürchte, unsere Bahn verpasst gerade den Zug in die Zukunft.
Sie wünschen sich eine SBB-Expansion ins Ausland?
Die Marke SBB hat in Europa einen grossen Wert. Ich bin überzeugt: Mit ihrem Renommée und ihrer Qualität könnten die SBB Strecken-Ausschreibungen gewinnen und Geld verdienen.
Oder fulminant scheitern. Das England-Abenteuer endete 2002 mit der Einsicht von CEO Benedikt Weibel, die SBB seien kein europäisches Unternehmen.
Als SBB-Generalsekretär war ich damals verantwortlich für das Projekt. Noch heute bin ich der Meinung, dass der Rückzug ein Fehler war und man in England hätte Geld verdienen können. Aber klar: Im Wettbewerb besteht auch das Risiko, zu verlieren. Das gehört zu einer unternehmerischen Tätigkeit dazu. Aber die SBB selbst lieferten ja einen positiven Präzedenzfall.
Woran denken Sie?
Bei der Marktöffnung des Schienengüterverkehrs 1999 war SBB Cargo die erste Güterbahn, die ins Ausland fuhr. Das war ein mutiger Schritt, der sich gelohnt hat. Mittlerweile ist die heutige SBB Cargo International eine der renommiertesten Güterbahnen auf der Nord-Süd-Achse. Eine ähnliche Chance bietet sich nun im Personenverkehr.
![Peter Füglistaler würde die SBB gerne im Ausland sehen: «Mit ihrem Renommée könnten die SBB Ausschreibungen gewinnen und Geld verdienen», so der BAV-Direktor.](https://www.verkehrsmonitor.ch/assets/content/artikel-images/_imageMax/175266/ROT0894-4.webp)
Im Landverkehrsabkommen hat sich die Schweiz eigentlich gegenüber der EU zu einer Öffnung im grenzüberschreitenden Personenverkehr verpflichtet. Aus Brüssel heisst es, nach 24 Jahren des Wartens sei die Geduld am Ende.
Die Schweiz hat tatsächlich viel Goodwill verloren. Zu Beginn meiner Zeit beim BAV waren wir im Schienenverkehr das Lieblingskind Europas. Trotz einer klaren Verletzung von EU-Vorgaben konnten wir sogar das Verbot von lärmenden Güterwagen in der Schweiz durchsetzen. Doch seit zwei Jahren wird alles blockiert. Unsere Ansprechpartner in der EU-Kommission sagen deutlich: Wenn die Schweiz ihr Verhältnis mit der EU nicht regelt und ihre Verpflichtungen erfüllt, kommt von Brüssel gar nichts mehr.
Was hat das für konkrete Konsequenzen?
Beispielsweise läuft die Übergangslösung für gemeinsame Zulassungen und Sicherheitsbescheinigungen im grenzüberschreitenden Bahnverkehr Ende Jahr aus. Ob sie nochmals verlängert wird, ist ungewiss. Wenn nicht, müssten die Bahnen international verkehrende Fahrzeuge zweimal zulassen – einmal bei der ERA (europäische Eisenbahnagentur, Anm. d. Red.) und einmal beim BAV. Das bringt erhebliche Mehrkosten für Industrie und Betreiber.
Aber auch Nachteile für die europäischen Bahnen, die durch die Schweiz fahren.
Ja – aber das nimmt die EU in Kauf. Ausserdem profitiert von einem einheitlichen und frei zugänglichen europäischen Eisenbahnmarkt kein Land stärker als die Schweiz. Wir haben gleich an vier Landesgrenzen Probleme mit unterschiedlichen technischen Systemen. Für den Schweizer Eisenbahnsektor gilt deshalb: Wir brauchen unbedingt ein geregeltes institutionelles Verhältnis mit der EU. Und zwar rasch.
Ein fertig ausgehandeltes Abkommen kann nicht ernsthaft zur Bedingung für eine rasche Normalisierung gemacht werden.
Nein, das nicht. Aber die EU erwartet ein klares Zeichen von uns. Momentan bin ich leicht optimistisch, dass die Übergangslösung im Eisenbahnbereich nochmals um ein Jahr verlängert wird. Doch als Gegenleistung wird erwartet, dass wir endlich die abgebrochenen Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen wieder aufnehmen.
Benjamin Bitoun arbeitet seit 2014 für Tamedia. Vor seinem Wechsel zum VerkehrsMonitor war er für die Zeitungen «Der Bund» und «BZ Berner Zeitung» tätig. Er hat an der Universität Fribourg Journalistik, Geschichte und Germanistik studiert. An der Columbia University in New York hat er eine Ausbildung zum Datenjournalisten absolviert.
Mehr InfosFehler gefunden? Jetzt melden.