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Arbeitsmarkt-Analyse Verkehrsbetrieben droht ein Personalproblem

Auch die Verkehrsbranche leidet zunehmend unter dem Fachkräftemangel. Im öffentlichen Verkehr gibt es bereits Einschränkungen.

Weil Lokführer fehlen, musste die Rhätische Bahn schon mehrere Züge ausfallen lassen. Foto: zvg

Am Schweizer Arbeitsmarkt herrschen für Arbeitnehmende hervorragende Zeiten. Die Zahlen von Beschäftigten und offenen Stellen liegen auf einem Rekordniveau, die Arbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Die Nachfrage nach Arbeitskräften übersteigt das Angebot. Arbeitnehmende können sich oft aussuchen, wo sie arbeiten wollen.

So komfortabel die Situation für die Beschäftigten ist, so schlimm kann sie für Arbeitgebende sein. Ursache dafür ist der demografische Wandel: altersbedingte Austritte aus dem Berufsleben nehmen markant zu, während Neueintritte von jungen Arbeitnehmenden bestenfalls leicht ansteigen. So entsteht eine Beschäftigungslücke. Simulationen über die Entwicklung des Arbeitsmarkts von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel kommen zu dem Schluss, «dass es in der Schweiz in den nächsten Jahren zu einem ausgeprägten und weit verbreiteten Fachkräftemangel kommen wird».

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Rekordwert beim Fachkräftemangel

Schon heute leiden gewisse Branchen unter einer Personalnot. Laut dem Fachkräftemangel Index Schweiz 2022 des Personaldienstleisters Adecco und der Universität Zürich erreicht der Personalbedarf aktuell eine noch nie dagewesene Dimension. Verglichen mit dem Vorjahr liegt der Index 68 Prozent höher. Insbesondere Personal für Gesundheitsberufe, Informatiker und Ingenieure seien nur sehr schwer zu bekommen.

Im Fachkräftemangelranking der Gesamtschweiz belegt die Berufsgruppe Fahrzeugführer und Bediener mobiler Anlagen, zu denen Lokomotivführer, Taxi- und LKW-Fahrer zählen, den 23. von 31. Plätzen. «Diese Berufsgruppe zählt demnach weder zu den Berufsgruppen mit einem deutlichen Mangel an Fachkräften noch zu jenen mit einem deutlichen Überangebot», sagt eine Sprecherin von Adecco.

Verkehrsbetriebe leiden unterschiedlich

Schaut man sich den Arbeitsmarkt im Verkehrsbereich genauer an, ergibt sich ein differenziertes Bild.

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Luftfahrt: Corona hat die Luftfahrt ordentlich ausgebremst. Weil die Flugzeuge am Boden bleiben mussten, stiegen viele Beschäftigte aus und auf andere Branchen um. Die Folge: Wegen Personalmangels hat die Swiss vergangenen Sommer zahlreiche Flüge gestrichen und seit der Pandemie kann die Fluggesellschaft ihre Ausbildungsklassen nicht mehr füllen, berichtete SRF Ende Juni. Lange Jahre davor galt ein Job über den Wolken für viele als Traumberuf.

Transportwesen: Bei Planzer, einem der grössten Schweizer Transport- und Logistikunternehmen, sind aktuell 60 Stellen vakant. «Wir sind regelmässig auf der Suche nach neuen Mitarbeitenden und haben derzeit keine Probleme, unsere Stellen zu besetzen», sagt Jan Pfenninger, Leiter Marketing und Kommunikation. Es sei allerdings anspruchsvoller geworden, «geeignete Mitarbeitende zu finden».

Andrè Kirchhofer, Vizedirektor des Schweizerischen Nutzfahrzeugverbands ASTAG, bewertet die Situation für die gesamte Branche anders: «Im Strassentransportgewerbe besteht ein sehr grosser Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften.» Jobkiller Nummer 1 sei die aktuelle Stauproblematik. «Wer hat schon Lust, dauernd zu stehen, anstatt zu fahren.» Auch seien die Einstiegshürden ins Transportgewerbe aufgrund staatlicher Vorgaben wie Prüfungen und jährliche Wiederholungskurse für Lkw-Fahrende vergleichsweise hoch. Um das Problem des Personalmangels zu lindern, setzt die ASTAG gezielt auf Nachwuchsförderung, unter anderem mit Auftritten auf Berufsmessen und Schulbesuchen.

Öffentlicher Verkehr: Im öffentlichen Verkehr stagnieren die Beschäftigtenzahlen, obwohl diesen immer mehr Menschen benutzen: Mit 5,22 Milliarden Personenkilometern verzeichnete der Schienenpersonenverkehr die höchste je gemessene Nachfrage in einem ersten Quartal. In diesem Jahr waren es zwei Prozent mehr, als im Vergleichszeitraum 2019, dem letzten Jahr vor der Pandemie und bisherigen Spitzenreiter. Das steht im gemeinsamen Quartalsranking «Bahn» von Litra und des Verbands öffentlicher Verkehr.

Litra, der Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr, hat im März die Studie Volkswirtschaftliche Bedeutung des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz - Update 2020 veröffentlicht. Damals gab es in der Schweiz 42.500 Vollzeitäquivalente an direkt Beschäftigten in diesem Segment. Im Vergleich zur Studie für das Jahr 2018 waren es 200 mehr. Zu den direkt Beschäftigten kommen etwa gleich viel indirekt Beschäftigte, etwa bei Lieferanten hinzu.

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«Glücklicherweise ist es momentan noch selten, dass Stellen gar nicht besetzt werden können», sagt Michael Bützer, Geschäftsführer bei Litra. Wegen Personalmangel bei Lokführerinnen und Lokführern musste die Rhätische Bahn in diesem Jahr bereits an mehreren Wochenenden Züge ausfallen lassen. «Bei den Schweizer Bundesbahnen wurden in den vergangenen Jahren grosse Anstrengungen unternommen, dass der Engpass bei Lokführern mit Erfolg beseitigt werden konnte», sagt Bützer.

Dass der öffentliche Verkehr im Vergleich zu anderen Branchen noch nicht an einer akuten Personalknappheit leidet, liegt seiner Meinung nach insbesondere daran, weil in den Betrieben generell attraktive Arbeitsbedingungen herrschen.

Kritischer beurteilt die Lage Roger Baumann, Mediensprecher beim Verband öffentlicher Verkehr: «Negativ ins Gewicht fallen dagegen die unregelmässigen Arbeitszeiten, auch in der Nacht und am Sonntag.» Insbesondere in Bereichen, in denen hochspezialisierte und technisch ausgebildete Mitarbeitende gefragt seien, bestünde ein teilweise akutes und besonders starkes Personaldefizit. «Im äussersten Fall sind punktuelle und befristete Angebotsreduktionen künftig nicht ausgeschlossen.»

Ruhe vor dem Sturm

In vielen Verkehrsbetrieben herrscht die Ruhe vor dem grossen Sturm. Der könnte schon bald kommen: der Fachkräftemangel-Index von Adecco zeigt nämlich nur, an welchen Berufen es am meisten mangelt, aber nicht, welche Branchen den grössten Bedarf an den beispielsweise besonders gefragten IT-Fachkräften haben. Weil alle Branchen Informatiker suchen, könnte sie zum Nadelöhr bei den Verkehrsbetrieben werden.

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